Skip to main content Skip to page footer

Rumänien - von Schafen und Hunden

Ein Bericht von Nina Schöllhorn, Tierärztin

Menschenleere Gegenden, sanfte Hügel, traumhafte Wolkenhimmel, urtümliche Idylle, das ist es, was viele von uns mit Rumänien verbinden und tatsächlich ist dies auch eines der Gesichter dieses Landes. Was wunderschön in dieses Bild passt, sind die Schafherden, die man in vielen Teilen des Landes findet. Wer lange Strecken in Rumänien fährt, der wird sie unterwegs überall finden. Große Herden und zahlreiche Hunde, die sie begleiten, ziehen durch die Lande. Ein schöner Anblick, er hat etwas friedvolles, weckt vielleicht die Sehnsucht nach den alten Zeiten in uns, als wir alle noch mehr mit der Natur verbunden waren. Kein Stress, keine Eile, völlige Entschleunigung.
Wer allerdings etwas genauer hinschaut, dem fallen schon bald hinkende Schafe auf. Nun ja, mag so mancher sagen, das kommt vor, was will man machen?

Nun, ich bin über die Jahre immer wieder in näheren Kontakt mit Schäfern gekommen und es bietet sich hinter den Kulissen in aller Regel ein wenig romantischer Anblick. Es fängt bei den verdreckten Ställen der Schafe an, geht über deren mangelnde medizinische Versorgung und vor allem den sehr groben Umgang mit ihnen. Und schließlich kommen wir zu den Hunden. Nicht alle sind frei und mit den Schafen auf den Wiesen unterwegs. Stets sind zahlreiche bei den Ställen untergebracht. In aller Regel an der Kette, die Behausungen sind sehr windig zusammengeschustert, irgendwie improvisiert und bieten fast nie einen ausreichenden Witterungsschutz. Doch wer überhaupt ein Dach über dem Kopf hat, darf sich glücklich schätzen. Es ist leider kein Einzelfall, Hunden zu begegnen, die ohne jeglichen Schutz, teilweise mitten im Feld, angekettet sind. Sie sind den harten Witterungsbedingungen schutzlos ausgeliefert, und ich frage mich oft, wie es überhaupt möglich ist, so zu überleben. Falls es Näpfe gibt, sind diese häufig leer oder völlig verdreckt. Hunde im Sommer in brütender Hitze anzutreffen, ohne einen Tropfen Wasser, ist eher normal, als einen gefüllten Wassernapf vorzufinden. Verfilztes Fell, mangelnde bis gar keine medizinische Versorgung, Verletzungen, Parasiten - die Liste der Probleme, mit denen sich diese Hunde herumschlagen müssen, ist lang. In aller Regel sind sie unkastriert und die vielen Welpen, die unter diesen widrigen Umständen das Licht der Welt erblicken, werden von Anfang an mit einer harschen Wirklichkeit konfrontiert. Mit dicken Wurmbäuchen tapsen sie durch den Matsch, versuchen Kälte und Hunger zu trotzen. Ein erbärmlicher Anblick, vor allem, wenn man weiß, dass nur die wenigsten überleben werden.
Was zur Vernachlässigung hinzukommt, ist der sehr grobe, nicht selten gewalttätige Umgang, sowohl mit Schafen als auch mit Hunden.

In aller Regel offenbart sich einem an diesen Orten ein trauriges Szenario, das wütend macht. Wie ist es möglich, dass offensichtlich die grundlegendsten Bedürfnisse der Tiere missachtet werden? Wer nun noch etwas genauer hinschaut findet Antworten. Der Beruf des Schäfers ist wahrlich nicht so malerisch wie er scheint. Das Leben bei Wind und Wetter draußen ist hart und einsam. Die Unterkünfte der Schäfer sind ähnlich provisorisch, wie die der Hunde und Schafe. Wer draußen auf den Feldern unterwegs ist, ist nicht der Besitzer der Tiere. Es sind einfach Menschen, denen meist keine Wahlmöglichkeiten bleiben, was sie tun in ihrem Leben. Die Entlohnung ist schlecht. Ein sehr großes Problem ist Alkohol. Was will man also erwarten?

Ich will nicht verallgemeinern, aber was ich hier schildere, ist, das, was man bei den meisten Schafhaltungen antrifft. Natürlich gibt es Ausnahmen und auch Menschen, die gut mit ihren Tieren sind.
Zur Problematik der geschilderten Haltungsbedingungen kommt ein weiteres Problem. Da sich die Hunde in aller Regel unkontrolliert fortpflanzen, finden sich nicht genug Ressourcen für all die ´Tiere. Es herrscht Futterknappheit, die die Hunde zwingt abzuwandern. Man sieht sie häufig entlang der Straßen nach Futter suchen. Alleine oder in kleineren Gruppen laufen sie entlang der Hauptverkehrsstraßen und hoffen auf Abfälle der vorbeifahrenden Autos. Es handelt sich größtenteils natürlich um große Hunde vom Herdenschutzhundtypus. Die Hunde benötigen auf Grund ihrer Größe viel Futter und es fällt ihnen schwer, selbst genug Fressbares zu finden. Dementsprechend sind sie oft in erbärmlichem Zustand, wenn sie uns begegnen. Ausgezehrt, geschwächt, verfilzt, oft räudig kommen sie uns entgegen. Nicht alle, auf die wir treffen, haben die Herde freiwillig verlassen. Sehr viele dieser Hunde werden auch ausgesetzt. Besonders vor dem Winter werden viele von ihnen entsorgt, denn im Winter werden weniger Hunde gebraucht, da die Schafe meist im Stall sind und man sieht die Hunde dann nur als unnötige Fresser. So tauchen viele dieser Tiere in den umliegenden Dörfern und Städten auf, da sie hier am ehesten Futter finden. Die Begeisterung der Anwohner hält sich natürlich in Grenzen. Man hat Angst vor diesen großen Hunden und ruft die Verantwortlichen der Stadt, damit sie entfernt werden. So landen sie schließlich in den Auffanglagern und Tierheimen. Dies ist für alle Hunde kein schöner Ort, doch für diese Hunde bedeutet es zudem in den meisten Fällen Endstation. Wer möchte solch einen Hund haben? Große Hunde im Allgemeinen, aber besonders Herdenschützer sind verständlicherweise schwer zu vermitteln.

So entsteht ein großes Problem für die Tierheime. Diese großen Hunde benötigen viel Platz und viel Futter. Sie sind teuer im Unterhalt. Aktuell ist die Situation aller Tierheime in Rumänien dramatisch. Durch stark rückläufige Adoptionszahlen herrscht überall Überfüllung und Futterknappheit. Bislang waren viele der Ansicht, die Lösung des Problems sei die Vermittlung ins Ausland. Doch dass dies nicht länger funktioniert, ist offensichtlich. Besonders für diese Hunde nicht. Tierheime, die sich in Gebieten befinden, in denen es besonders viele Schäfer gibt, sind besonders stark betroffen von dieser Problematik. So z.B. das vom „Freundeskreis BrunoPet e.V.“ betreute Tierheim in Miercurea Ciuc.

Wie kann man diesen dramatischen Zuständen begegnen?
Es gibt eine Kastrationspflicht in Rumänien und diese gilt es durchzusetzen. Mit sehr gutem Beispiel voran geht die Stadt Agnita, deren Bürgermeister das Problem erkannt hat und nun entsprechend dagegen vorgeht. Die Schäfer werden alle kontaktiert und freundlich auf das Angebot der kostenlosen Kastration während unserer Kastrationsaktionen aufmerksam gemacht. Kommen sie nicht, wird der Druck erhöht. Mit Erfolg!

Jeder Schäfer sollte nur so viele Hunde halten, wie er auch vernünftig versorgen kann.
Gibt es nicht ständig neuen Nachwuchs, schätzt man auch die Hunde, die man hat, mehr und achtet besser auf sie. Es würden bedeutend weniger Hunde abwandern und ausgesetzt werden.
Im kommenden Jahr wollen wir in der Gegend um Agnita gezielt diese Hunde kastrieren, um aufzuzeigen, dass sehr wohl etwas getan werden kann. Ich hoffe, dass es sich dann herumspricht, wie wichtig es ist, gerade diese ländlichen Tierhaltungen ins Visier zu nehmen, da sie zu einem großen Teil verantwortlich sind für die Probleme auf der Straße und in den Tierheimen.

Doch nun schauen wir mal noch ein Stückchen weiter über den Tellerrand. Es sind heutzutage viel mehr Schafe zu sehen als in meiner Anfangszeit in Rumänien. Genauer gesagt hat sich die Zahl der Schafe in Rumänien in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Sieben bis zehn Millionen Schafe, je nach Quelle, leben heute in Rumänien. Wie kommt es hierzu? Wie so oft, wenn es um drastische Veränderungen in davor bestehenden Strukturen geht, heißt die Antwort: EU-Subventionen. Dank diesen ist die Schafzucht zu einem lukrativen Geschäft geworden. Einziges Problem: der fehlende Absatzmarkt für Schaffleisch. Doch die Lösung wurde schnell gefunden, und zwar im arabischen Markt. Nun wird die Geschichte immer unschöner, denn qualvolle Langstreckentransporte und der anschließende Tod durch betäubungsloses Schächten im Nahen Osten findet nun wirklich breite Ablehnung. Ein Unglück eines Transportschiffs mit 14.000 verendeten Schafen - mit Bestimmungsort Dschida in Saudi-Arabien - gibt einen weiteren üblen Beigeschmack. Wollen wir noch mehr wissen oder reicht uns dies fürs Erste?

Ich denke, über dem romantischen Bild von sanften Hügeln und grasenden Schafen hängt inzwischen ein sehr dunkler Schatten. Es geht ums Geld, das ist alles. Dabei zählen Schafe und Hunde ebenso wenig wie die armen Hirten, die meist die harte Arbeit für diejenigen tun, die am Ende das Geld einstreichen.

Was mir an dieser Stelle wichtig ist anzusprechen: Ich finde nicht, dass es reicht, sich über schlimme Zustände wie diese aufzuregen. Wir müssen uns auch fragen, inwieweit wir dazu beitragen? Denn letztendlich sind wir alle mitverantwortlich an den schlimmen Lebensbedingungen der Schafe und Hunde, wenn wir Schafskäse konsumieren oder Wollprodukte oder Schafsfelle kaufen, die aus diesen Betrieben stammen. Gerade diese Produkte scheinen so besonders natürlich und man hat ein gutes Gefühl, Geld hierfür auszugeben. Doch der Blick hinter die Kulissen zeigt, was wir nicht sehen wollen, und deshalb schauen viele von uns lieber nicht hin. Ganz egal welches Produkt man kauft, man sollte nicht verdrängen, unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde und was wir mit unserem Geld unterstützen. Gerade was den Konsum tierischer Produkte angeht, ist es unangenehm, sich Gedanken zu machen. Wir sind meiner Meinung nach aber in der Pflicht, dies zu tun. Wir schulden es den Tieren, der Umwelt und unseren Mitmenschen, die wir seit Jahrhunderten wahrlich genug ausgebeutet haben.
Ich danke Ihnen fürs
Nicht-Wegschauen.
Ihre Nina Schöllhorn